Normen – Was gibt es Neues für die LAN-Messtechnik?

Normen – Was gibt es Neues für die LAN-Messtechnik?

Jeder Billig-PC aus dem Supermarkt hat mittlerweile eine Gigabit-Ethernet-LAN-Schnittstelle. Wer heute eine Netzwerkkarte, einen Hub, Switch oder Router kauft, achtet darauf, dass Gigabit ‚drin‘ ist. Wo Gigabit-Ethernet-Karten vor ein paar Jahren noch so teuer wie ein ganzer PC waren, ist heute Gigabit mittlerweile zur Grundausstattung geworden. Dies gilt für den Heimanwender ebenso wie für den professionellen Einsatz in Büros oder Rechenzentren.
Als Planer, Installateur oder Betreiber einer strukturierten Verkabelung muss oder sollte man allerdings ein bisschen weiter denken. Je nach Anwendungsfall muss entschieden werden, ob es ausreicht, dass die passive Verkabelung Gigabit-Ethernet unterstützt, oder ob in der zu erwartenden Lebenszeit der passiven Verkabelung noch höhere Datenraten übertragen oder z.B. Multimedia-Dienste ausgeführt werden sollten. Genau wie vor fünf Jahren, als noch jeder gesagt hat „Wer braucht schon Gigabit im LAN-Bereich?!“ und heute Gigabit als ganz normal angesehen wird, kann es sich auch in den nächsten fünf Jahren mit 10GB verhalten. Die ersten 10GB-Karten sind schon auf dem Markt zu Preisen, die jeden Anwender noch schauern lassen. In weiteren fünf Jahren wird 10GB womöglich schon zur Grundausstattung gehören. Wie schnell die Entwicklung weitergeht, kann man zurzeit in Pressemitteilungen der IEEE mitverfolgen. Während 10GB gerade marktreif wird, hat IEEE diesen Sommer die Arbeitsgruppe 802.3.ba zur Übertragung von 40 und 100GB über Kupfer ins Leben gerufen. Während die neue Applikation 10GB bezüglich der Normung schon fertig ist, hängt die Normung der strukturierten Verkabelung etwas hinterher. Weltweit wird an Normen für Komponenten, Strecken und Messtechniken gearbeitet, die die 10GB-Applikation unterstützen sollen. In aller Munde sind zurzeit Schlagwörter wie ’10G-tauglich‘, CAT 6A und ISO-Klasse EA.

Die Norm als Puzzle

Jedem, der schon mal in einer Norm geblättert hat, ist sicher aufgefallen, dass sie oft auf eine Handvoll anderer Normen verweist, die wieder weiter verweisen und wieder weiter verweisen. Somit sind sie oft miteinander verwoben wie ein gigantisches Puzzle. Dieses Merkmal trifft nicht nur im LAN-Bereich zu, sondern auf Normen im Allgemeinen. Als Anwender hat man nun die Qual der Wahl. Entweder liest man nur das eine Dokument und hofft ’so in etwa‘ über die Runden zu kommen oder man investiert Zeit und Geld und beschafft sich die im Hauptdokument referenzierten Normen und evtl. weiter referenzierte Normen und müht sich durch das Werk, bis man das Puzzle oder zumindest den relevantesten Teil zusammengesetzt und verstanden hat. Für den Anwender wird daher das Lesen einer Norm hin und wieder zur Tortur. Oft fehlt auch einfach die Zeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Als Beispiel: Die ISO11801 referenziert im Abschnitt 2 ganze 52 andere Normen. Bis man alles ‚durch‘ hat, sind leicht zwei oder drei Tage vergangen und einige tausend Euro ausgegeben. Wer hat heute noch die Zeit und wer will das Geld investieren? Zumal es alle paar Jahre wieder eine Neuauflage mit Änderungen gibt. Aber warum sind Normen generell eigentlich so ‚anwenderfeindlich‘ aufgebaut? Hin und wieder hört man sogar Aussprüche wie „die Normer sind nur zu faul alles mal richtig zusammenzuschreiben“. Warum kann eine Norm nicht schlicht mit einfachen Worten klipp und klar beschreiben, was zu tun ist? Die Antwort liegt im Puzzle selbst. Um beim Thema Messtechnik zu bleiben: Es gibt eine Vielzahl von Messvorschriften für LAN-Verkabelung. Hier sind nur ein paar Beispiele genannt: TIA/EIA 568, ISO11801, EN50173. All diese Normen spezifizieren Grenzwerte für Abnahmemessungen im Feld und für Labormessungen. Wie aber soll eigentlich das Feldmessgerät messen und mit welcher Genauigkeit? Jetzt könnte jede der oben genannten Normen eine eigene Definition aufstellen, wie Messgeräte zu messen haben. Sofort hätte man ein Chaos aus unzähligen verschiedenen Definitionen für Labor- und Feldmesstechnik. Die Lösung ist einfach. Man trennt die Normen auf. Im Hinblick auf Labor- und Feldmesstechnik legen obige Normen lediglich die Messwerte, Frequenzbereiche und Grenzwerte fest, der Rest wird in einer weiteren Norm referenziert. Diese weitere Norm (ISO/IEC 61935-1) spezifiziert nun die Labor- und Feldmesstechnik und die dazugehörigen Genauigkeiten. Weltweit gilt diese Norm als die Grundlage für alle Labor- und Feldmesstechnik-Methoden für strukturierte Kupfer-LAN-Verkabelungen.

Der Charme des Puzzles

Da es im obigen Beispiel nur diese eine Grundlage für Feldmesstechnik gibt, wird sichergestellt, dass in den Normen für den Anwender möglichst keine Widersprüche auftreten und ein ganzes Normenwerk neu erstellt werden muss, wenn an einer Stelle geändert wird. Als Beispiel: Sowohl die CAT 5E aus TIA/EIA 568 als auch die ISO-Klasse D aus ISO 11801 spezifizieren Messungen bis 100MHz. Maximal unterstützte Anwendung in beiden Fällen ist zurzeit Gigabit-Ethernet. Würden nun beide Normen völlig unterschiedliche Feldmesstechniken definieren, müsste der Anwender je nachdem, ob er nach CAT 5E oder nach Klasse D misst, verschiedene Feldmessgeräte verwenden, obwohl eigentlich dasselbe gemessen werden soll und dieselbe Anwendung (Gigabit-Ethernet) später auf der Verkabelung laufen soll. Wir stellen fest: das Puzzle ist notwendig, da wir komplexe Vorgänge beschreiben müssen. Normen sind als Module aufgebaut, die vernetzt und zueinander kompatibel sind. Wird ein Detail in einem Modul geändert, muss nicht gleich das ganze Puzzle neu aufgebaut werden. Im schlimmsten Fall zieht eine Änderung lediglich Nachbesserungen in benachbarten Modulen nach sich. Dazu mehr im folgenden Kapitel.

10GB Ethernet

Im Vergleich mit 1Gigabit-Ethernet stellt 10Gigabit-Ethernet an die Strukturierte Verkabelung wesentlich höhere Anforderungen sowohl an die Komponenten wie Stecker, Panel, Kabel und Rangierkabel als auch an die Labor- und Feldmesstechnik. Die amerikanische EA/TIA 568 wird hierfür die Kategorie 6A und die Internationale ISO/IEC 11801 die Klasse EA vorsehen. Beide Erweiterungen werden Feldmessungen bis 500MHz spezifizieren. Hinzu kommen noch weitere Messvorschriften für spezielle Sonderfälle. Sowohl die amerikanische TSB155 als auch die internationale TR24750 definieren Messungen, mit welchen geprüft werden kann, ob eine schon bestehende CAT 6 bzw. ISO-Klasse-E-Verkabelung 10GB übertragen kann. Inwieweit diese Sonderfälle wirklich zur Anwendung kommen werden, bleibt abzuwarten, da die Hersteller von strukturierten Verkabelungssystemen die 10Gigabit-Anwendung nur dann garantieren, wenn das neueste 10GB-Material verwendet wird. Wer also auf seiner alten CAT 6-Verkabelung 10GB-Ethernet laufen lassen will, ist auf sich alleine gestellt.

Gravierende Unterschiede

Sowohl CAT 6A als auch ISO-Klasse EA basieren auf der schon bestehenden CAT 6 bzw. ISO-Klasse E. Allerdings werden die neuen Erweiterungen gravierende Unterschiede vorweisen. Der Unterschied liegt im Wesentlichen im Frequenzbereich und natürlich in den einzelnen Grenzwertkurven, aber es gibt auch für bestimmte Fälle neue Messparameter. Die Erweiterung des Frequenzbereichs von 250 auf 500MHz und die neuen Messmethoden bringen für die Feldmesstechnik neue Genauigkeits- und Messtechnik-Definitionen mit sich. Diese Definitionen werden in einer neuen Ausgabe der ISO/ISE 61935-1 zu finden sein. Die Genauigkeit der Feldmessgeräte ist in sogenannten ‚Level‘ definiert. Plant man also ein neues LAN-Netz, das 10GB unterstützen soll, muss darauf geachtet werden, dass die Feldmesstechnik zum einen die neue CAT 6A (Entwurf) bzw. ISO-Klasse EA (Entwurf) unterstützt und des Weiteren, dass das Messgerät der Genauigkeitsklasse Level IIIe entspricht.

Neue Messparameter

In aller Munde ist zurzeit das Schlagwort ‚Alien Crosstalk‘, was sich dahinter verbirgt ist fast schon ein alter Hut, der schon seit Jahrzehnten in der Messtechnik bekannt ist. ‚Alien Crosstalk‘ beschreibt hier die gegenseitige Störung von Datenstrecken, da Übersprech-Effekte zwischen Kabeln vorkommen können. Dieser Effekt tritt prinzipiell bei allen Datenstrecken auf, ist aber bis einschließlich CAT 6, ISO-Klasse-E-Verkabelungen zu vernachlässigen. Bei den neuen CAT 6A/ISO-Klasse EA-Verkabelungen und der 10Gigabit-Applikation muss dieser Effekt allerdings berücksichtigt werden. Das Problem mit Alien Crosstalk liegt in der komplexen Messung. Theoretisch müssten die Störungen aller Datenkabel einer Verkabelung zueinander gemessen werden. Bei zehn Strecken wären das ’nur‘ 55 Einzelmessungen, bei 100 Strecken schon über 10.000 Einzelmessungen – im Feld so nicht durchführbar. Die Normierung sieht hier 2 Auswege vor:

1. Messung der Schirmdämpfung im

Labor: Die Schirmdämpfung be-

schreibt die Störfestigkeit einer Ver-

kabelung gegen äußere Einflüsse.

Kann der Verkabelungshersteller

einen gewissen Wert der Schirm-

dämpfung im Labor nachweisen, so

muss Alien Crosstalk im Feld nicht

mehr gemessen werden, d.h. Alien

Crosstalk wird per Design erfüllt. Ge-

schirmte Verkabelungen haben in

der Regel konstruktionsbedingt eine

wesentlich bessere Schirmdämpfung

als ungeschirmte Verkabelungen.

2. Messung an einer kleinen Auswahl

an Strecken: Erfüllt das Installations-

material die oben genannten Schirm-

dämpfungswerte nicht, so muss

Alien Crosstalk im Feld an einer re-

präsentativen Auswahl an Strecken

gemessen werden. Hierzu wird die

dritte Ausgabe der ISO/IEC 61935-1

eine Vorschrift zur Auswahl von

Strecken enthalten. Wie praxistaug-

lich dieses Auswahlverfahren wirklich

sein wird, wird sich erst noch zeigen

müssen.

Ist bei 10Gigabit Schluss?

Schon heute nicht. Wie oben beschrieben arbeitet die IEEE 802.3.ba bereits an 40 und 100GB über Kupferverkabelungen. Als Verkabelungsklassen könnten hierfür die ISO-Klasse F bzw. ISO-Klasse FA verwendet werden. Während 40 bzw.100GB heute noch Zukunftsmusik sind, gibt es schon Anwendungen für die Klasse FA bis 1000MHz. Diese Verkabelungen können bereits heute schon TV-Dienste über Twisted Pair LAN-Kabel übertragen. Die Eigenschaft macht die strukturierte Verkabelung wirklich multimedial. So kann ein und dasselbe Datenkabel vom analogen Telefon bis zum TV-Signal alle Dienste unterstützen.

Wofür muss die Feldmesstechnik gerüstet sein?

Bei einer durchschnittlichen Lebenszeit eines Messgerätes von über fünf Jahren und Preisen zwischen 4.000 und 9.000? will die Investition in ein Messgerät gut überlegt sein.Wer in naher Zukunft Netze installiert, die ’nur‘ Fast- bzw. Gigabit-Ethernet unterstützen sollen, ist mit einem CAT 6-Messgerät in der Regel immer noch gut beraten. Könnte es jedoch sein, dass in Zukunft etwas mehr gefordert sein wird, so sollte die Mindestanforderung schon bei einem 500MHz-Gerät liegen. Besteht die Möglichkeit, dass evtl. auch CAT 7- oder CAT 7A-Verkabelungen bzw. Multimedia-Dienste unterstützt werden sollen, so sollte man schon ein 1GHz-Gerät ins Auge fassen.

Das Puzzle wächst

Wie man sieht, wächst das Puzzle und wird an einigen Stellen überarbeitet, ergänzt und erweitert. Es ist und bleibt spannend zu beobachten, wie sich die Übertragungstechnik in den nächsten Jahren entwickeln wird und uns Anwendern immer wieder neue Möglichkeiten bieten wird. Eines ist sicher: es wird nicht langweilig werden.

Ideal Industries GmbH
www.idealindustries.com

Das könnte Sie auch Interessieren

Bild: AmpereSoft GmbH / Maik Porsch
Bild: AmpereSoft GmbH / Maik Porsch
Wettbewerbsfähiger mit standardisierten Daten

Wettbewerbsfähiger mit standardisierten Daten

Aktuell ist die neue Version 14 des Datenstandards Eclass verfügbar. Grund genug, die Entwicklung von Eclass und die Verbreitung in der Branche in den Blick zu nehmen. Wo liegen die Vorteile, sind diese bereits im Markt angekommen und ist Wettbewerbsfähigkeit ohne standardisierte Daten noch möglich? Antworten darauf liefert ein Expertentalk mit Josef Schmelter, Master Specialist Classification bei Phoenix Contact, Peter Oel, Inhaber des gleichnamigen Ingenieurbüro, und Stefan Mülhens, Geschäftsführer von Amperesoft.

Bild: Metz Connect GmbH
Bild: Metz Connect GmbH
Gute Luft mit smarter HLK-Steuerungstechnik

Gute Luft mit smarter HLK-Steuerungstechnik

Bei der Regelung von Heizung, Lüftung und Klima geht es darum, die Temperatur, Luftqualität und Feuchtigkeit auf komfortable und effiziente Weise aufeinander abzustimmen. Die Zusammenhänge zwischen Außen- und Innentemperatur, der Zunahme der CO2-Konzentration in der Raumluft und der Zeit, wie lange ein Fenster für „gute Luft“ geöffnet bleiben muss, sind keine konstanten Größen und manuell kaum
beherrschbar. Metz Connect schlägt für kleinere Bauten und Nachrüstungen Automatisierungslösungen mit dezentralen busbasierten Modulen vor.

Bild: Gira Giersiepen GmbH & Co. KG
Bild: Gira Giersiepen GmbH & Co. KG
Wachstum in Funktion und Design

Wachstum in Funktion und Design

Im Mittelpunkt des diesjährigen Auftrittes von Gira auf der Light + Building standen neben einer neuen
Schaltergeneration vor allem die Weiterentwicklung des Smart-Home-Systems Gira One im Rampenlicht. Auch Lösungen für ein intelligentes Energiemanagement im smarten Zuhause brachte das Unternehmen aus Radevormwald mit nach Frankfurt. Vereinendes Element sind digitale Assistenzsysteme, mit denen Gira dem Fachhandwerk Planung und Realisierung der Elektroinstallation vereinfachen möchte.

Bild: Wieland Electric GmbH
Bild: Wieland Electric GmbH
Effiziente Prozesse beim modularen Bauen

Effiziente Prozesse beim modularen Bauen

Modulares Bauen kann eine der Antworten auf die aktuellen Herausforderungen der Baubranche sein. Angesichts des Fachkräftemangels sowie immer steigendem Kostendruck gilt es, zeitraubende Tätigkeiten im Werk und auf der Baustelle zu vermeiden. Für das Gewerk der Elektroinstallation gelingt dies mit Hilfe seriell vorgefertigter, steckbarer Systemkomponenten wie sie Wieland Electric im Rahmen seines Prefab-Lösungsportfolios bereithält.